Ich erinnere mich noch gut an den 07. Mai 2011. Es ist ein sommerlicher Samstagmittag, blauer Himmel und Sonnenschein über Hamburg. Und vor allem: der 33. Spieltag in der Fußball-Bundesliga. Der FC St. Pauli empfängt am heimischen Millerntor den großen FC Bayern München. Solche Spiele haben Seltenheitswert! Und auch für mich war es das Highlightspiel der Saison. Sofort habe ich damals nach der Spielplanveröffentlichung geguckt: Wann geht's gegen den Rekordmeister?
Ich, damals 14 Jahre jung, gehe mit meinem Opa ins Millerntorstadion. Es ist das erste Mal, dass ich den FC Bayern live sehe. Robben, Ribéry, Müller, Lahm, Schweinsteiger und Gomez - eine Auswahl an Weltklassespielern. Die Bayern, die nur wenige Wochen zuvor Louis van Gaal entlassen haben, musste die Meisterschaft schon längst abschreiben, Dortmund ist uneinholbar vorne. Es geht vielmehr darum: schaffen die Münchener den Einzug in die Champions League, oder müssen sie sogar mit der Schmach der Europa League leben?
Beim Kiezklub auf Tabellenplatz 18 hat es die Ausgangslage sogar noch mehr in sich: für eine Minimalchance auf den Klassenerhalt muss ein Sieg her. Ausgerechnet gegen die Bayern! Utopisch, schließlich konnte Braun-Weiß nach dem Derbysieg gegen den HSV im Februar kein einziges Spiel mehr gewinnen.
Der Münchener Weltauswahl steht ein Team gegenüber, bei dem einige noch in der Regionalliga (damals dritthöchste Spielklasse) für St. Pauli die Schuhe schnürten. Fabio Morena, Florian Lechner, Marcel Eger, oder auch Charles Takyi.
So deutlich die Vorzeichen vor dem Spiel sind, so drastisch sind sie auch nach Abpfiff. 1:8! Eine Machtdemonstration des wütend spielenden Rekordmeisters, die Elf von Holger Stanislawski ist eklatant unterlegen. Wahrscheinlich werde ich nie das enttäuschte Gesicht meines Opas vergessen.
Rückblickend steht für mich an dem Tag aber viel mehr eine Szene im Mittelpunkt: dieser eine Treffer, den St. Pauli gegen den großen FC Bayern erzielen kann. Es läuft die 78. Spielminute, Freistoß Max Kruse und Marcel Eger köpft zum Ehrentreffer ein. "Song 2" ertönt über die Lautsprecher und der Verteidiger dreht jubelnd ab in Richtung Südtribüne. Das ganze Stadion jubelt - hauptsächlich natürlich ironisch. Es ist nicht nur Egers letztes Pflichtspiel für den FC St. Pauli nach 7 Jahren beim Verein, sondern auch der Abschied von Trainer Holger Stanislawski und der rechnerische Abstieg.
13 Jahre später: Der FC St. Pauli spielt endlich wieder erste Bundesliga, kann im Sommer 2024 als Meister des Unterhauses den Aufstieg bejubeln. Kurios: In den ersten vier Bundesliga-Heimspielen gelingt es der Truppe nicht, ein Heimtor zu erzielen. Heißt: Marcel Eger ist nach wie vor der amtierende, letzte Torschütze am Millerntor. Der perfekte Anlass, darüber zu sprechen, denn es wartet kurioserweise das Duell gegen den FC Bayern! Die perfekte Geschichte. Kurzerhand recherchieren wir den Kontakt des Ex-Paulianers und fragen das Interview an.
Knapp 40 Minuten geht unser Gespräch über die alten Zeiten, das Bayern-Spiel und eben auch sein einziges Bundesligator. „Jetzt kriege ich halt mal wieder ein bisschen Aufmerksamkeit", sagt der mittlerweile 41-Jährige, der heute auf einem Hof in Bayern lebt. „Wenn ich dann überlege, was auf der Anzeigetafel stand: Gomez, Robben, Ribery - und eben Eger. Das ist schon witzig!“ Doch auf seinen aktuellen Titel könnte er liebend gerne verzichten, wie er in unserem SPORT1-Interview erzählt.
Mit einem Heimtor hat es bekanntermaßen auch im fünften Anlauf nicht funktionieren wollen. Auch wenn die Mannschaft von Alexander Blessin gegen die Bayern (0:1) beachtenswert gut mitgehalten hat.
Der 14-jährige Junge, der damals am 07. Mai 2011 mit seinem Opa auf der Nordtribüne stand, hätte sich definitiv nicht vorstellen können, eines Tages ein Interview mit Marcel Eger über genau jenen Treffer zu führen.
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